Das Barockstädtchen Szentendre
Die ungarische Barockstadt Szentendre liegt im Zentrum des Landes in unmittelbarer Nähe zur Hauptstadt Budapest. Die ungarische Metropole ist nur etwa 20 Kilometer entfernt. Die Nähe zur Hauptstadt sowie die logistisch günstige Lage an der Donau machen Szentendre zu einem beliebten Ziel für Besucher. Die Stadt, die übersetzt Sankt Andreas heißt, hat knapp 60.000 Einwohner. Besonders interessant ist die barocke Altstadt mit ihren historischen Häuserfassaden und alten Kirchen. Szentendre kann auf eine lange Geschichte zurückblicken, denn das Land rund um die Stadt war bereits in der Steinzeit besiedelt. Auch die Römer hatten einen militärischen Stützpunkt in der heutigen Künstlerstadt und hinterließen viele Spuren. Besonders hervorzuheben ist jedoch die Phase, in der Szentendre eine serbische Enklave war, denn diese Zeit hat die Stadt besonders nachhaltig geprägt.
Szentendre erreicht man in etwa 30 Minuten von Budapest aus Amit dem Auto, etwas länger braucht die ungarische S-Bahn. Bei schönem Wetter empfiehlt sich ein Tagesausflug nach Szentendre mit dem Donau-Dampfer – ein großer Spaß für besonders für Familien.
Die Geschichte der Stadt Szentendre – von der Steinzeit bis zum Mittelalter
Ausgrabungen auf dem Stadtgebiet Szentendres belegen, dass es dort schon vor 20.000 Jahren steinzeitliche Siedlungen gegeben haben muss. Danach lebten dort verschiedene Volksstämme, unter anderem die keltischen Eravisker und die Illyrer. Im ersten Jahrhundert nach Christus eroberte der römische Kaiser Augustus das Gebiet rund um Szentendre. Für die Römer lag die Gegend günstig, denn die Donau war als Transportweg für Waren eine wichtige Handelsstraße. Zudem diente der Fluss als natürliche Grenze des Reiches. Sie gründeten ein Kastell (Ulcisia Castra) und später auch ein Dorf mit sich anschließenden Gräberfeldern, legten Straßen an und bauten eine Wasserleitung. In der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts ließ sich ein hoher Beamter oder Würdenträger eine Villa Rustica bauen. Das Landgut umfasste eine Gesamtfläche von 5200 Quadratmetern und entstand in mehreren Bauphasen. Es hatte 52 Zimmer und einen pompösen Säulengang. Gegen Ende des dritten Jahrhunderts wurde das Gut aufgegeben, doch die Reste der antiken Villa Rustica können heute ganzjährig von interessierten Besuchern besichtigt werden. Die einsetzende Völkerwanderung im 5. Jahrhundert brachte die Zerstörung des Kastells und die der zugehörigen Anlagen mit sich. Danach siedelten Langobarden auf dem Gebiet der späteren Stadt Szentendre. Auch unter ihrer Herrschaft gewann der Ort nach und nach an Bedeutung und wuchs zu einer kleinen Siedlung an. Später lebten die Awaren dort, die wahre Meister der Metallschmiedekunst gewesen sein müssen. Ihre wertvollen Hinterlassenschaften sind heute im ungarischen Nationalmuseum in Budapest untergebracht.
Nach und nach ließen sich immer mehr Christen in Szentendre nieder. Im Mittelalter diente die Stadt als Königspfalz. Vermutlich befand sich der ehemalige Königspalast an der Stelle des heutigen Rathauses. Eine erste urkundliche Erwähnung der Stadt geht auf das Jahr 1009 zurück. Namenspatron war der heilige Andreas, dem auch die Stadtkirche ihren Namen verdankte. Die Kirche stand auf einem kleinen Hügel und rund herum entstanden im Laufe der Zeit immer mehr Wohnhäuser und Wirtschaftsgebäude. Weil die Stadt immer weiter wuchs und wirtschaftlich aufgrund ihrer günstigen Lage in unmittelbarer Nähe zu Budapest auch mehr an Bedeutung gewann, bauten die Bewohner im 14. Jahrhundert eine Stadtmauer zur Befestigung und zum Schutz der Siedlung. Reste der Mauer sowie weitere Funde aus dem Mittelalter konnten Archäologen bei Ausgrabungen in der Altstadt freilegen.
Die Entwicklung der Stadt Szentendre zur Vielvölkerstadt
Im 13. Jahrhundert war Szentendre Sitz eines Erzbischofs und unter kirchlicher Verwaltung. Der Wohlstand der Stadt wuchs weiter an, denn ihre Bewohner genossen zahlreiche Privilegien wie beispielsweise das Recht zu fischen und Bäume auf der Donau zu transportieren. Zudem wurde der Stadt Zollfreiheit gewährt.
Der Reichtum Szentendres und die massive Stadtmauer konnten jedoch den Ansturm der Türken nicht aufhalten. Sie eroberten 1541 das gesamte Gebiet rund um Szentendre. Die Stadt gehörte fortan zum Osmanischen Reich und verlor ihre Rechte und Privilegien. In den folgenden 150 Jahren sank die Einwohnerzahl deutlich und ein Großteil der Stadt wurde zerstört. Erst 1684 konnten die Türken von christlichen Herrschern vertrieben werden. Die stark beschädigte Stadtkirche wurde im barockem Stil wieder errichtet.
Zu dieser Zeit siedelten sich etwa 6.000 Serben in der nahezu ausgestorbenen Stadt an. Diese waren aus Belgrad geflohen, denn die Türken hatten ihre Heimatstadt kurz zuvor zurückerobert. Aufgrund ihres tapferen Widerstandes gegen die türkischen Eroberer wurden den Serben viele Rechte zugesprochenen. Sie durften ihre Religion frei ausüben, eigene Richter ernennen, Schulen gründen und mussten nur wenig Steuern zahlen. Auch aus anderen Gebieten kamen immer mehr Immigranten in die Stadt, in der ausreichend ungenutzter Wohnraum zur Verfügung stand. Besonders Griechen, Dalmatier und Bosnier fanden dort Zuflucht. Im 18. Jahrhundert wurden die Siedler endgültig sesshaft in Szentendre und bauten Häuser und Kirchen. Historische Quellen beweisen, dass es acht Kirchen verschiedener Konfession gab. Heute existieren davon noch sieben. Es entstanden außerdem verschiedene, kulturell ganz unterschiedlich geprägte Stadtviertel, welche die Stadtentwicklung nachhaltig beeinflussten. Auch eine Schule entstand gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Großen Einfluss auf alle Bauten der Stadt hatte der barocke Baustil. Bis heute haben sich viele der historischen Gebäude erhalten, die den besonderen Charme Szentendres ausmachen und sie bei Touristen so beliebt machen. Szentendre wurde immer wohlhabender. Das lag am erfolgreichen Weinanbau und daran, dass das Handwerk florierte. Die reichsten Bürger waren jedoch die Kaufleute, die ihre Waren per Schiff und auf dem Landweg in alle Regionen Europas transportierten und mit Gewinn verkauften. An Bedeutung und Einfluss gewann Szentendre auch, weil die kleine Stadt lange Zeit ein geistliches Zentrum der serbischen Kirche war. Später fungierte sie zudem als Sitz des griechisch-orthodoxen Bistums. Es ist erstaunlich, wie harmonisch die vielen Völker in der kleinen Stadt zusammenlebten – über religiöse Auseinandersetzungen ist nichts bekannt.
Im 19. Jahrhundert verließen jedoch viele Serben Szentendre, um in ihre alte Heimat zurückzukehren, wo ihnen keine Gefahr mehr drohte. Doch es kamen andere Einwanderer nach und gaben Der Dtadt erneut ein neues Gesicht. Dies Neuankömmlinge stammten vor allem aus Ungarn, der Slowakei und aus dem Frankenland. Die neuen Bewohner übernahmen einige der serbisch-orthodoxen Kirchen und machten sie zu reformierten oder katholischen Gotteshäusern. Trotz der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert blieb Szentendre eine Kleinstadt, allerdings entstand 1888 eine Bahnverbindung zwischen Szentendre und dem 20 Kilometer entfernt liegenden Pest. Aufgrund der wenig entwickelten Industrie war die Stadt bald nicht mehr wettbewerbsfähig und viele Bürger wurde Arm. Häufig wurde Szentendre zudem von teils verheerenden Naturkatastrophen heimgesucht. Im März 1838 überflutete die Donau große Teile der niedrig gelegenen Stadtviertel. 1882 kam es zu einem starken Reblausbefall bei den Weinpflanzen, der die Ernte stark dezimierte. Fast der gesamte Jahresertrag fiel den gefräßigen Tieren zum Opfer. Viele der Bürger, die in den Weinanbau investiert hatten, verloren ihr gesamtes Vermögen.
Ab 1926 siedelten sich immer mehr Künstler in Szentendre an. Sie prägen das kulturelle Leben dort bis heute entscheidend mit, organisieren Ausstellungen und bieten ihre Werke in Galerien interessierten Sammlern an. Erst ab 1990 wandelte sich Szentendre zu einem Touristenort. Doch seitdem entstanden zahlreiche neue Hotels, Restaurants, Cafés und kleine Geschäfte, die jedes Jahr viele Besucher aus Europa und der ganzen Welt anziehen.
Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten in Szentendre
Für historisch Interessierte ist ein Besuch im Ferenczy Freilichtmuseum von Szentendre Pflicht. Dort können die Überreste des alten römischen Kastells sowie die der Zivilsiedlung besichtigt werden. Neben den Gräberfeldern ist auch die altchristliche Kapelle für Besucher geöffnet. Zudem werden antike Fundstücke aus dem zweiten bis vierten Jahrhundert gezeigt. Im Museum selbst lagern einige tausend Fundstücke. Die archäologischen Untersuchungen befinden sich allerdings noch im Anfangsstadium. Das zu erforschende Gebiet hält wahrscheinlich noch zahlreiche Schätze bereit, die in den kommenden Jahrzehnten ans Licht befördert und untersuchtwerden sollen. Typisch ungarische Dörfer aus dem 17. bis zum 20. Jahrhundert wurden im Freilichtmuseum originalgetreu nachgebaut, ebenso die ursprünglichen Gartenanlagen der Kleinbauern.
Im ethnographischen Freilichtmuseum bei Szentendre finden jedes Jahr die sogenannten „Bunten Wochen“ statt. Besucher können Handwerkern über die Schulter schauen und sich zeigen lassen, wie Weber, Bäcker oder Spielzeugbauer in vergangenen Jahrhunderten arbeiteten. Eine andere Aktion widmet sich kulturellen Bräuchen an Feiertagen. In den Sommermonaten von Juni bis August ergänzen Folkloreabende, Theatervorführungen, Konzerte und Veranstaltungen für Kinder das abwechslungsreiche Programm. Natürlich kommen auch Kunstliebhaber auf ihre Kosten, denn die lokale Künstlerkolonie präsentiert ihre Werke und bietet sie Interessenten zum Kauf an.
Wer sich für Theater und Volkskunst begeistert, ist im Dunaparti Kulturhaus bestens aufgehoben. Neben Theaterstücken werden dort auch Tanzveranstaltungen präsentiert, bei denen verschiedene ungarische Volksgruppen auftreten.
Szentendre – ein Stück lebendiges Ungarn erleben
Budapest ist ein beliebtes Ziel für ausländische Touristen. Wer jedoch bei seinen Reisen Wert auf authentische Eindrücke und ein historisches Ambiente legt, sollte dem Barockstädtchen Szentendre unbedingt einen Besuch abstatten. Besonders im Sommer und in den Herbstmonaten wird dort kulturell eine Menge geboten. Neben Ausstellungen, kleinen Festivals und Märkten sollten Reisende unbedingt die zahlreichen Museen in Szentendre genauer unter die Lupe nehmen. Es gibt nur wenige Städte in Europa, in denen die wechselvolle Geschichte ihrer Bewohner so greifbar und lebendig ist wie in Szentendre.