Budapester Kaffeehäuser
Dank des Kontaktes mit den Türken in der Vergangenheit ist das Kaffeetrinken fester Bestandteil des ungarischen Kulturguts. Unter dem Einfluss Österreichs während der k. u. k. Monarchie entwickelte sich auch im ehemaligen „Paris Osteuropas“ eine ausgereifte Kaffeehauskultur, die eine Vielzahl von stilvoll eingerichteten und eleganten Etablissements hervorbrachte. Die traditionellen Cafés in Budapest stehen den berühmten Wiener Häusern in Opulenz, Stil und Lebenskultur um nichts nach und machen einen Besuch der Stadt zu einem atmosphärischen Erlebnis. Bei Kaffee und Kuchen die Seele baumeln zu lassen und die Gepflogenheiten der Budapester beim Kaffeetrinken zu beobachten, sollte als fixer Programmpunkt einer Reise in die ungarische Hauptstadt eingeplant werden.
Budapest zur Jahrhundertwende – Zentrum der Künstler- und Literatenszene
In den eleganten und trotzdem gemütlichen Kaffeehäusern verkehrten ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts in Budapest wie in vielen anderen wichtigen Großstädten Europas die Intellektuellen, Künstler und vor allem die Literaten, die die vielschichtige Kulturentwicklung des Fin des Siècle bis zum Ausbruch des ersten Weltkriegs maßgeblich beeinflussten. In Budapest gab es in jener Zeit über fünfhundert Cafés, die an jeder Häuserecke zu einer mehrstündigen Pause einluden. Rechnet man diese Anzahl auf die Einwohner Budapests, waren hier pro Kopf sogar mehr Kaffeehäuser zu finden als in der Metropole Paris. Daher wurde von manchem ungarischen Zeitgenossen behauptet, es gäbe in Budapest mehr Schriftsteller als Menschen, die lesen können. Der hohe Stellenwert des Cafés in Budapests wurde in zahlreichen literarischen Werken und Reiseberichten über die Stadt erwähnt und von den Zugereisten und Besuchern aus der Provinz als besondere „Sehenswürdigkeit“ kommentiert. Da der stundenlange Aufenthalt im Kaffeehaus in Budapest einen essentiellen Bestandteil des Alltags und der Lebenskultur darstellte, fanden sich in diesen Etablissements neben leidenschaftlichen Schach-, Billard- und Kartenspielern auch Theaterkritiker, Zeitungsredakteure, Journalisten, Künstler und die Mitglieder der pulsierenden österreich-ungarischen Schriftstellerszene des 19. Jahrhunderts ein.
Das rege Treiben in den Budapester Cafés
Die Lizenz, ein Kaffeehaus in Budapest zu eröffnen, erhielten ausschließlich Gastronomen, die nachweisen konnten,dass die nebenher kein Bordell betrieben. Ihre Gaststätte musste sich mindestens fünfzig Meter von Einrichtungen des öffentlichen Lebens, wie etwa Spitälern, Schulen oder Kirchen entfernt befinden. Dafür war es den Besitzern der Kaffeehäuser erlaubt, diese rund um die Uhr offen zu halten, wodurch diese zu beliebten Treffpunkten wurden, wo die ganze Nacht lang gezecht und intensiv über das Zeitgeschehen diskutiert wurde. In den vorigen Jahrhunderten waren die Kaffeehäuser für viele Budapester ein zweites Zuhause, wo ihnen sogar die Post an ihre Stammtische zugestellt wurde. An den kleinen Marmortischen sitzend, erfuhren die Menschen die neuesten Gerüchte ebenso wie einen guten Insider-Tipp für das nächste Pferderennen. In den Kaffeehäusern funktionierte der ganze Kulturbetrieb der Stadt, denn hier wurden die neuesten Theateraufführungen und Bucherscheinungen beurteilt und die Journalisten mit interessantem Stoff für ihre brisanten Zeitungsartikel versorgt.
Eine Zeitreise bei Kaffee und Kuchen
Auch wenn die „goldene Zeit“ der Schriftstellerkreise, die in den großen Kaffeehäusern zusammenkamen und im regen Austausch die großen Werke des Fin de Siècle schufen, längst vorbei ist, erinnert die Atmosphäre der edlen Etablissements noch immer an den Lebensstil der leichtlebigen Bohemiens der Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie. Heute sind etwa sechshundert Kaffeehäuser in Budapest zu finden, die immer noch beliebte Treffpunkte der Einheimischen darstellen, die miteinander diskutieren, Geschäfte verhandeln oder stundenlang die Zeitung lesen. Die Kaffeehäuser in Budapest bieten viel Interessantes zur Beobachtung, denn hier findet sich eine illustre Mischung aus verliebten Paaren, unkonventionellen Künstlernaturen und solchen, die es gerne wären sowie älteren, üppig geschmückten und geschminkten Budapester Damen ein, die genüsslich ihr Stück Torte verzehren. Auch die Kellner und Kellnerinnen der Budapester Kaffeehäuser, die es nie besonders eilig haben, die bestellte Kaffeejause umgehend zu servieren, machen dank ihrer unbeteiligten und etwas arroganten Miene den authentischen Charakter des Budapester Cafés aus. Vor allem jedoch können sich die Besucher der traditionellen Kaffeehäuser in Budapest an der architektonischen Pracht der k. u. k. Monarchie erfreuen, denn viele der großen Etablissements wurden nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft aufwendig restauriert und erstrahlen nun in neuem Glanz. Daher sind die großen Cafés in der ungarischen Hauptstadt nicht nur wegen ihres kulinarischen Angebots, vor allem der ungarischen Tortenkunst wegen einen Besuch wert, sondern auch, um die Bauwerke und deren eindrucksvollen Dekor bei einer gemütlichen Tasse Kaffee, einem Stück ungarischer Dobos Torte oder einer Portion Somlauer Nockerln eingehend zu studieren. Auch wenn ihre kunstvolle Architektur und die glamouröse Vergangenheit manche Kaffeehäuser zu zeitweise überfüllten Touristenattraktionen gemacht haben, können die Besucher zu vielen Tageszeiten ein ruhiges Plätzchen in einer Fensternische oder Ecke finden, von wo aus das rege Treiben und die Lebensart der Ungarn nach wie vor ungestört beobachtet werden können.
Das Café New York – Goldene Opulenz der Gründerzeit
Im großen Verlagshaus der Stadt befindet sich im Erdgeschoss des New York Palace Hotels mit dem Café New York eines der legendärsten Etablissements Budapests. Das Café New York wurde im Jahr 1896 von dem US-amerikanischen Versicherungsunternehmen New York Life Insurance Company errichtet und anlässlich der 1000-Jahr-Feierlichkeiten der Stadt eröffnet. Die Räumlichkeiten des Kaffeehauses sind in dem für die Gründerzeit typischen opulenten neubarocken Stil gehalten und erinnern wegen der gedrehten und kitschigen Säulen an üppig verzierte barocke Kirchen. Obwohl das Café New York die Weltkriege und das kommunistische Regime weitgehend unbeschadet überstanden hat, wurde es ab 2001 umfassend restauriert und fünf Jahre später wieder eröffnet. Das Café New York blickt auf eine lange Geschichte als Zentrum des Budapester Kulturlebens zurück. Der große Dramatiker Ferenc Molnár warf anlässlich der Eröffnung in einem symbolischen Akt mit anderen späteren Stammgästen und Literatenkollegen den Schlüssel der Eingangstür des Cafés in die nahe Donau, damit es niemals schließe. Viele Künstler, die hier verkehrten, waren so verarmt, dass sie in ihren kärglich eingerichteten Wohnungen keine Besucher empfangen konnten und daher in ihrem Stammcafé Sprechstunden abhielten. Im Zuge eines Rundgangs können Besucher die Karikaturen der wichtigsten Schriftsteller Ungarns erblicken, die hier ein zweites Zuhause fanden. Neben üppigen Amphoren und Brunnen und unter einer aufwendig vergoldeten Stuckdecke mit venezianischen Kronleuchtern können die Besucher neben Kaffee und süßen Kunstwerken auch typisch ungarische Gerichte auf höchstem Niveau genießen und dabei im Glanz vergangener Zeiten schwelgen. Der atemberaubende Stil der Innenräume brachte diesem eleganten Etablissement auch den Ruf ein, das „schönste Kaffeehaus Wiens“ zu sein. Tatsächlich kann das Café New York, sowohl was das süße Angebot als auch die Atmosphäre anbelangt, durchaus mit berühmten Wiener Pendants wie dem Demel oder der Konditorei Gerstner mithalten.
Das Café Centrál – Traditionelle Eleganz
Dieses Grand Café wurde im Jahr 1887 eröffnet und avancierte schnell zu einem der beliebtesten Treffpunkte der Budapester Intellektuellenkreise. In der kommunistischen Ära wurde es für mehrere Jahrzehnte geschlossen, öffnete jedoch im Jahr 1999 in einem historischen Gebäude im Zentrum von Pest abermals seine Pforten. Die dunklen Holzmöbel und Ledersessel, die aufwendig gestaltete Stuckdecke und die riesigen Panoramafenster verleihen diesem Kaffeehaus ein einzigartiges und auf charmante Weise altmodisches Flair. Nicht nur die Kaffeespezialitäten und Tortenkreationen sind im Café Centrál ein Genuss, auch ein traditionelles Frühstück, ein herzhaftes Wiener Schnitzel, internationale Küche und klassische ungarische Gerichte wie Fischsuppe, Cremespinat oder Palatschinken werden hier in guter Qualität serviert.
Das Café Gerbeaud – Konditorkunst auf höchstem Niveau
Das am Ende der Promenade Váci utca am Vörösmarty Platz gelegene Café Gerbeaud wurde im Jahr 1858 von Henrik Kugler zusammen mit dem weltberühmten Schweizer Konditormeister Emil Gerbeaud eröffnet und avancierte wegen der einzigartigen süßen Kunstwerke, der Zuckerwaren, der Eiskreationen und des Teegebäcks innerhalb kürzester Zeit zum k. u. k. Hoflieferanten. Das Café Gerbeaud ist vor allem durch seine exzellente Kuchenkarte bekannt, die immer noch die Originalrezepte seines zu Lebzeiten international angesehenen Gründers beinhaltet. Das Interieur des Kaffeehauses ist im Gründerzeit-Rococostil gehalten und wurde später mit prachtvollen Elementen und Möbeln des Jugendstil dekoriert und eingerichtet. Wegen der hohen Konditorkunst, die sich in dem reichhaltigen Tortenangebot niederschlägt, sowie seiner geschichtsträchtigen Vergangenheit ist das Café Gerbeaud ein beliebter Anziehungspunkt für viele Touristen. Besucher sollten sich daher auf ein überfülltes Lokal, bisweilen überfordertes und unfreundliches Personal und stolze Preise gefasst machen. Trotzdem sollte eine Kaffeejause im Gerbeaud als fixer Programmpunkt in jeden Citytrip nach Budapest eingeplant werden.
Gemütliche Kaffeehäuser fernab des Touristentrubels
Die gegenüber der Staatsoper gelegene Künstlerkonditorei Müvész Cukrászda wurde von den Budapestern in der Anfangsphase nach ihrer Gründung im Jahr 1884 zu Recht auch liebevoll das „Kleine Gerbeaud“ genannt. Die im stilvollen Salon aus der Gründerzeit servierten Kuchen und Süßigkeiten sind ein Genuss, und das Ambiente ist im Vergleich zum Gerbeaud wesentlich ruhiger, gemütlicher und intimer. Auch die zentrale Lage, das gute Preis-Leistungsverhältnis und die freundliche Bedienung machen eine Kaffeejause im Müvész Cukrászda zu einem absoluten Geheimtip.
Als das älteste noch betriebene Kaffeehaus Budapests bietet die kleine Konditorei Ruszwurm im Burgviertel zu kulanten Preisen feinste Patisserien, die dem geschmacklichen Niveau des Café Gerbeaud durchaus das Wasser reichen können. Die original erhaltene Einrichtung und der Kachelofen aus der Biedermeier-Zeit sorgen für nostalgische Gemütlichkeit fernab des Prunkes der großen Kaffeehäuser. Die schief hängenden Bilder an den Wänden und die alte, nicht funktionstüchtige Uhr über dem Verkaufsschrank vermitteln den Eindruck, das hier tatsächlich die Zeit stehen geblieben ist. Den verlockenden Torten in der Theke gleich hinter dem Eingang kann kaum ein Besucher der Konditorei Ruszwurm widerstehen.
Ein Besuch des neben dem Budapester Nationalmuseum gelegenen Café Muzéum lohnt sich schon alleine wegen der prachtvollen Einrichtung des Hauses. Venezianische Spiegel, handgearbeitete Holzvertäfelungen und die mit kostbarsten Porzellanfliesen verkleideten Wände zieren die Räumlichkeiten, die durch das Mobiliar an die Salons feiner Bürgerhäuser des ausgehenden 19. Jahrhunderts erinnern. Regelmäßig veranstaltete Klavierabende lassen die Vergangenheit des Café Muzéum als beliebten Treffpunkt der bedeutendsten Künstler und Musiker der Monarchie-Zeit wieder aufleben.