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Gyor – eine Stadt im Nordwesten Ungarns

Die bewegte Vergangenheit Györs ist allgegenwärtig. Eine Fülle sakraler und profaner Baudenkmäler, von der Basilika über die Bischofsburg bis hin zu barocken Prachthäusern, prägt das Bild der heute rund 130 000 Einwohner zählenden Stadt im Nordosten Ungarns. Ihre Wurzeln reichen bis in die Römerzeit zurück. Für Györ ist nach wie vor noch der deutsche Name Raab geläufig. Der gleichnamige Fluss und ebenso die Rabnitz münden bei Györ in die Kleine Donau. Daher resultiert auch die gelegentliche Bezeichnung „Stadt der Flüsse“ für den aufstrebenden Wirtschaftsstandort, Stichwort Audi-Autos, an dem man sich seit jeher gut auf das Gastgewerbe versteht.

Das immense historische und kulturelle Erbe wird in Györ mit gebührendem Stolz bewahrt und gepflegt. Es ist gerade im Hinblick auf den Tourismus ein starkes Kapital. Tradition und Fortschritt zu verbinden und damit „zukunftsfähig“ zu werden beziehungsweise zu bleiben, ist in Györ schon immer in besonderem Maße gelungen. Dabei profitierte und profitiert die Stadt nicht zuletzt von der günstigen Lage zwischen den Metropolen Budapest und Wien in der Kleinen Ungarischen Tiefebene (Pannonien).

Vorteilhafte Lage im Dreiländereck

Nach den politischen Umwälzungen 1989/90 in Ost- und Mitteleuropa, bei denen Ungarn eine Schlüsselstellung einnahm und Grenzen fielen, konnte Györ sich vorteilhaft im Dreiländereck Ungarn-Slowakei-Österreich positionieren. Die Stadt in Westtransdanubien, einer der sieben ungarischen Regionen, ist Sitz des Komitats Györ-Moson-Sopron (Raab-Wieselburg-Ödenburg). Bei den 19 Komitaten, plus Hauptstadt Budapest, handelt es sich wiederum um die regionalen Verwaltungseinheiten.-

Ein Blick in die lange und wechselvolle Geschichte zeigt, dass Györ aufgrund der Lage schon immer im Blickpunkt der umgebenden Völker und Mächte stand und von strategischer Bedeutung war. Die Wurzeln lassen sich bis in die Antike zurückverfolgen. Auf dem heutigen Stadtgebiet befand sich das Kastell Arrabona, eine massive römische Militärbastion am Oberpannonien-Limes entlang der Donau. Historiker vermuten, dass die Römer das Steinkastell vom 1. bis 4. Jahrhundert n.Chr. als Verteidigungsposten nutzten und später im nahen Umkreis eine zivile Siedlung entstand.

Verleihung der Stadtrechte im Jahre 1271

Eine weitere wichtige Phase der Entwicklung setzte im 10. Jahrhundert mit der Gründung des Bistums und der Burggrafschaft ein. Archäologische Funde besagen, dass Györ/Raab bereits im Jahre 1271 durch Istvan V. das Stadtrecht verliehen bekam – und nicht zur Ruhe kommen sollte. Im 1970 erschienenen Merian-Magazin „Ungarn“ (Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg) hieß es unter anderem: „Hier lag einst die Frontlinie zwischen den osmanischen Heeren und dem Abendland. So war Györ stets eine umkämpfte Stadt: Türken und Franzosen, Deutsche und Franzosen sind hier mit Troß und Kanonen durchmarschiert“.

Die unzähligen ungebetenen Besucher gehören glücklicherweise der Vergangenheit an. Diese hat freilich viele Spuren hinterlassen, die noch ganz wesentlich das Aussehen und die Atmosphäre der Stadt bestimmen. Wer heute in Györ weilt, begegnet baulichen Relikten früherer Epochen auf Schritt und Tritt. Das war nicht immer so. Im Zweiten Weltkrieg waren zahlreiche Gebäude zerstört oder stark beschädigt worden, in den Folgejahren fiel auch manches purer Vernachlässigung zum Opfer.

Preis für vorbildlichen Denkmalschutz

In den 1970-er Jahren allerdings wurde damit begonnen worden, die historische Altstadt behutsam, gleichwohl grundlegend zu rekonstruieren und zu sanieren. Der aufwendige Wiederaufbau des Stadtkerns mit seinen prächtigen öffentlichen und privaten Gebäuden, überwiegend im Barockstil, wurde noch im „Wendejahr“ 1989 in großem Stil gewürdigt: mit dem Europa-Nostra-Preis für Denkmalschutz und Erhaltung von Kulturerbe.

Zu den markantesten Sehenswürdigkeiten zählen die Bischofsburg und der Bischofspalast. Die mächtige Anlage, in deren Grundmauern Reste römischer Bautätigkeit schlummern sollen, wurde vornehmlich im 16. Jahrhundert immer mehr zur Festung ausgebaut. Dennoch konnten die Türken sie vorübergehend einnehmen. Unter Bischof Ferenz Zichy (1743 – 1783) wurde der verzweigte Gebäudekomplex restauriert und ausgebaut. Zu den Besonderheiten gehört die mehrstöckige gotische Burgkapelle.

Gedenken an Bischof Vilmos Apor

Die Burg am Kapitelhügel beherbergt unter anderem eine reich bestückte Schatzkammer mit herausragenden Werken der Goldschmiede- und Textilkunst, darunter eine wertvolle Bischofskappe aus der Zeit der Renaissance. Der Bestand der bischöflichen Bibliothek umfasst rund 67 000 kostbare Bände und über 300 handschriftliche Raritäten. Seit 2004 ist zudem eine Ausstellung zum Gedenken an den in Györ geborenen, aus altem Adel stammenden Bischof Vilmos Apor zu sehen. Er war 1945 im Burgkeller von russischen Soldaten erschossen worden und wird als Märtyrer verehrt. 1997 wurde Vilmos Apor von Papst Johannes II. seliggesprochen.

Gyor

Gyor ©iStockphoto/mrakos

Die Basilika ist das Wahrzeichen des unter König Stefan dem Heiligen gegründeten Bistums. Bereits im 11. Jahrhundert soll in Györ eine dreischiffige Kirche existiert haben. Über die Jahrhunderte mehrfach in Teilen zweckentfremdet und zerstört, wieder aufgebaut und erweitert, wurde sie zu einem Gotteshaus, in dem sich etliche Stile sakraler Baukunst mischen. In der Ladislaus-Kapelle wird die berühmte Herme des Heiligen Ladislaus verwahrt. Sie gilt als bedeutendste Reliquie ihrer Art in Ungarn.

Zahlreiche sakrale Sehenswürdigkeiten

Dass die Basilika zu einem bedeutenden Ziel für Wallfahrer wurde, liegt an dem Mariengnadenbild, das sich am Altar des nördlichen Seitenschiffs befindet. Der irische Bischof Walter Lynch hat es aus seiner Heimat mit nach Györ gebracht haben. Am 17. März 1697 sollen nach der Überlieferung aus dem dargestellten Antlitz der Mutter Gottes Tränen aus Blut getropft sein.

Weitere Sehenswürdigkeiten sind die Jesuitenkirche St. Ignatius, die ab 1636 nach Wiener Vorbild errichtet wurde, die zwischen 1721 und 1725 gebaute Karmeliter-Kirche mit angrenzendem Kloster, die Griechisch-Katholische Kirche, die Synagoge, das Rathaus sowie die ehemalige Residenz der Erzäbte. Der Barockpalast trägt seit 1951 den Namen Janos Xantus-Museum, benannt nach dem zu hohen wissenschaftlichen Ehren gelangten Zoologen (1825 – 1894). Das Museum zeigt Exponate zur Stadt- und Regionalgeschichte und enthält auch Sammlungen zur Geschichte der Medizin und der ungarischen Philatelie.

Kunstmuseum in verschiedenen Häusern

Das Städtische Kunstmuseum erstreckt sich über mehrere historische Gebäude. So ist die Gemäldesammlung im Schloss Esterházy zu sehen, einem Gebäude aus dem 18. Jahrhundert, in dem auch eine internationale Zeichen- und Grafikbiennale stattfindet. Die Péter Váczy-Sammlung mit Möbeln und Kunstgewerbe befindet sich im ehemaligen Krankenhaus, das bereits um 1750 errichtet und vor der Umwidmung umfassend renoviert wurde. In einem spätgotischen Gebäude, in dem einst der bischöfliche Hofrichter lebte, wird das Werk des Bildhauers Miklos Borkos (1906 – 1990) präsentiert. Das Kreszta-Haus ist dem vielseitigen Schaffen der in Györ geborenen Keramikkünstlerin Margit Kovács gewidmet.

Schließlich rechnet Györ auch sein „Napoleon-Haus“ zu den Attraktionen. Nach der sogenannten Schlacht bei Raab, in der sich im Juni 1809 italienisch-französische und österreichische Truppen heftige Gefechte lieferten (und Österreich unter Erzherzog Johann eine schmähliche Niederklage erlitt), soll Napoleon Bonaparte tatsächlich einmal in dem frühklassizistischen Prunkbau genächtigt haben.

Thermalbad mit Tradition

Ob Napoleon die Gelegenheit nutzte, auch die Annehmlichkeiten der Badekultur zu erfahren, ist nicht bekannt. Dass das Wasser von Györ heilsame Wirkung bei allerlei üblen Krankheiten entfalten soll, ist angeblich schon aus dem Mittelalter stammenden Chroniken zu entnehmen. Fest steht indes, dass 1931 auf einer Halbinsel zwischen den Flüssen Raab und Mosoni Duna (Kleine Donau) ein idyllisches Freibad eröffnet wurde, das heute noch in den Sommermonaten ein beliebter Anlaufpunkt ist. Ob beim Baden in den Fluten des Flusses oder beim Faulenzen auf den Liegewiesen – einen herrlichen Blick auf die Altstadt gibt es gratis dazu.

Zeitgemäßen Zuschnitts und viel frequentiert ist das Ende 2003 eingeweihte Heil-, Thermal- und Erlebnisbad „Raba-Quelle“, das direkt neben dem Freibad liegt. Es wird auch „Bad der Begegnungen“ genannt. Das seit 1978 als Heilwasser geltende Nass gelangt nach Angaben des Tourismus-Zentrums aus 2000 Meter liefen Thermalbrunnen in die diversen Becken. Es werden kurmäßige Anwendungen und verschiedenste ambulante Therapien angeboten, etwa gegen Gelenk- und Muskelschmerzen. Daneben ist das Raba-Bad auch eine wohltuende Wellness-Oase für gesunde Menschen, die einfach schwimmen oder auch nur planschen möchten. Saunagarten, Wasserbar, Solarium und manches mehr sorgen für Entspannung. Eine Wasserski-Kabelbahn ist etwas entfernt an der Autobahn M1 gebaut worden.

Personenwagen und Modelleisenbahnen

Erste Industrieansiedlungen gab es in Györ schon im 19. Jahrhundert, schwerpunktmäßig in den Bereich Maschinenbau und Textilherstellung. Mittlerweile hat die sechstgrößte Stadt Ungarns zu einem der wichtigsten Wirtschaftszentren des Landes entwickelt. Große Autos und kleine Züge, das sind in diesem Zusammenhang die vorrangigen Stichworte. Györ ist seit 1993 eine Audi-Stadt. Die Audi Hungaria Motor Kft. beschäftigte Ende vergangenen Jahres angeblich über 10 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ist damit der weit und breit größte Arbeitgeber. 2013 sollen rund 1,9 Millionen Motoren und fast 43 000 Fahrzeuge diverser Marken vom Band gelaufen sein.

Der traditionsreiche Modelleisenbahn-Hersteller Märklin unterhält zwei Fabrikationsstandorte: den im Ursprungsort Göppingen bei Stuttgart, wo das Unternehmen vor 150 Jahren gegründet wurde, und den in Györ. Die Tochtergesellschaft Märklin Hungaria Kft. besteht, wie das Audi-Werk, seit 1993. Zu Jahresbeginn sollen etwa 650 Männer und Frauen bei Märklin in Lohn und Brot gestanden haben.

Fußball und Handball besonders beliebt

Als Universitätsstadt ist Györ noch jung. Die Istvan-Szécheny-Universität ist aus der 1968 in Budapest ins Leben gerufenen Hochschule für Transportwesen und Telekommunikation hervorgegangen. 1990 von der Hauptstadt nach Györ verlegt, erhielt die Hochschule im Jahre 2002 Uni-Status. Der Audi-Konzern hat sich eingeklinkt und unterhält einen Lehrstuhl zum Thema Verbrennungsmotoren.

Sport wird in Györ groß geschrieben. In der Beliebtheitsskala liegen Fußball und Handball eindeutig vorn. Die Kicker des Györi ETO FC wurden 2013 zum ersten Mal seit 30 Jahren und insgesamt zum vierten Mal ungarischer Meister. Integrál DAC und Gyirmót SE spielen in der zweiten Liga. Den Ruhm als Handball-Stadt mehreren besonders die Damen des Györi ETO KC. 1995 wurden in Györ die Weltmeisterschaften im Frauenhandball ausgetragen. Gastgeber Ungarn verlor das Finale gegen Südkorea mit 20:25 Toren.

Berühmte Küche und Kaffeehäuser

Gastfreundschaft wird dem Besucher überall in großer Herzlichkeit entgegengebracht. Viele Hotels unterschiedlicher Standards und gemütliche Pensionen stehen für Tagesgäste und länger verweilende Touristen zur Verfügung. Köstlichkeiten der berühmten ungarische Küche, mit oder ohne Paprika, wird ebenso serviert wie internationale Speisen für jeden Geschmack. Ein Besuch in einem der legendären Kaffeehäuser darf bei einem Aufenthalt in Györ keinesfalls fehlen. Es empfehlen sich auch ein Besuch des Theaters und speziell einer Darbietung des renommierten Nationalballetts.

Györ unterhält Partnerschaften zu den deutschen Städten Stuhr (Niedersachsen), Erfurt (Thüringen), Sindelfingen, Pforzheim (Baden-Württemberg) und Ingolstadt (Bayern).

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